Beim Kumhausener Widerstand gegen die Autobahn B15 neu hätte bis vor kurzem keiner gedacht, dass es so schnell weitergehen würde mit den Aktionen gegen die geplante „Monstertrasse". Die Sternstunde der Demokratie, die der bayrische Innenminister Joachim Herrmann den Autobahn-Gegnern neulich gegeben hatte, war noch keine 14 Tage her.
Doch schnell kam die Ernüchterung: Alles wie gehabt, Demokratie ausgehebelt, durch Industrielobbyisten.
Aufgrund der starken Proteste im vergangenen Jahr mit Mahnfeuern und Postkarten, mit zehntausenden Holzscheiteln vor dem Münchner Innenministerium und den vielen Protestierenden auf der Verkehrskonferenz bei Dorfen Anfang Dezember, war der Minister mit riesigen Schritten auf die Bürger und seine Wähler zugegangen: Der autobahnartige Ausbau der B15 neu, so ließ er in einer Pressemitteilung vom 19. Januar verkünden, sei gestoppt. Bei den Gegner ungläubiges Staunen: sollte es den Bürgern tatsächlich möglich sein, neben dem mageren Wahlkreuzchen weiteren Einfluss auf die hohe Politik zu nehmen? Viele Skeptiker in Sachen Demokratie, von denen es zu Anfang wahrlich nicht wenige gegeben haben soll, schienen widerlegt.
Während die Gegner des „Monsterprojekts" noch ungläubig bei einander standen, ihren Erfolg kaum fassen mochten und zögerten, die Sektflaschen zu öffnen, wurde man an anderer Stelle aktiv.
CSU trommelt
Zunächst war das der Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) aus Erding. Dem hatte es gar nicht gefallen, als Minister Herrmann im Dezember eine neue Trassenvariante für die B15 neu durch die Autobahndirektion vorstellen ließ, die sich nahe an der bestehenden B15 orientieren sollte. „Bei uns nicht", gab sich der Landrat entsetzt. „Unser Landkreis ist mit dem Flughafen, der A94 und der A92 schon über Gebühr belastet." Da mag ihm mancher Recht geben.
Fluggs brachte der CSUler die wohlgeschmierte PR-Trommel seiner Partei zum Dröhnen, flutete Presse und Bürger mit Mitteilungen, Verlautbarungen und Kundgebungen. Da behauptete man kühn, dass auf der raumgeordneten Trasse ohnehin schon die Grundstücke von der Autobahndirektion gekauft seien. Die Autobahndirektion widerspricht dem aber, seit den 1970er Jahren habe man wegen der unübersichtlichen Lage überhaupt keine Grundstücke mehr entlang einer möglichen B15 neu-Trasse erworben, so heißt es dort. Und der Landrat nahm es auch nicht so genau mit Äußerungen, dass Bürgermeister aus gewissen Gemeinden im Landkreis Landshut hinter ihm stünden – zwischenzeitlich stattgefundene Wahlen mit neuen Ergebnissen hatte er zur Vereinfachung der weiteren Diskussion schlicht ignoriert.
Ober sticht Unter
Gefreut hat das ganze Tohuwabohu die Befürworter einer schnellen Nord-Süd-Verbindung. Lange waren sie medial unsichtbar geblieben. Auf öffentlichen Podiumsveranstaltungen in den betroffenen Gemeinden war man allenfalls durch Krawallmacherei oder fachliche Unkenntnis aufgefallen.
Als dann am 19. Januar die Herrmann'sche Entscheidung gegen den autobahnähnlichen Ausbau publik geworden war, wachte man auf: IHK und einige der Straßenbaulobby nahe stehende Industrielle, die sich unter dem Motto Pro B15 neu zusammengeschlossen hatten, suchten gemeinsam mit dem umtriebigen Landrat B. um einen dringenden Termin beim CSU-Chef Horst Seehofer nach. Und dort wurden sofort wieder die alten Argumente aufgewärmt: die notwendige wirtschaftliche Erschließung des östlichen Bayerns, die mangelnde Infrastruktur für exportorientierte Unternehmen im Raum Landshut, die drohende Gefahr der Industrieabwanderung. Und dann geschah es wie schon so oft: Wem zuletzt Audienz beim Landesfürsten gewährt worden war, der bekam recht. Der Ministerbeschluss wurde mit einem Federstrich zu den Akten gelegt. Alles wieder zurück auf Start. Demokratie auf bayrisch: der Ober sticht den Unter?
Wer stellt eigentlich die Arbeitsplätze?
Schaut man genauer zu, muss man allerdings feststellen, dass es nicht die lautstarken Unternehmen der Pro-Bewegung sind, die in den letzten Jahren durch Einstellungen und Betriebserweiterungen in Deutschland aufgefallen sind. Im Gegenteil zog man es dort vor, im billigeren europäischen Ausland, in Nordafrika oder China zu produzieren. Und dafür heimlich übers Wochenende in Deutschland Maschinen und Betriebsgeräte zu demontieren, um Mitarbeitern kündigen zu können. So liest man es zumindest in Wikipedia über den Automobilzulieferer Dräxlmeier.
Den weitaus größten Teil an Arbeitsplätzen in den Landkreisen Landshut, Mühldorf, Ebersberg und Rosenheim stellt ohnehin der Mittelstand kleinerer ortsansässiger Unternehmen. Und der bleibt, weil seine Kunden vor Ort sitzen oder weil es mit gut funktionierenden modernen Kommunikationsmedien ohnehin gleichgültig ist, wo ein innovatives Unternehmen seinen Firmensitz hat.
Interessensvertretung?
Und dann ist da noch die IHK. Wie überzeugend kann eine Organisation eigentlich ihre Mitglieder repräsentieren, wenn ihr Gewerbetreibende und Unternehmen per Gesetz zur Mitgliedschaft zugeführt werden und der Mitgliedsbeitrag, ebenfalls per Gesetz, im Voraus festgelegt ist und zwar als fester Prozentsatz vom Gewinn? Es scheint doch etwas vermessen, wenn das IHK-Management die Autobahn B15 neu fordert, vorgeblich im Auftrag ihrer Mitglieder.
Selbst ein des linken Querulantentums unverdächtiger Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Präsident, meint, dass man es doch den Unternehmern selbst überlassen sollte, ob sie die Leistungen der Handelskammern in Anspruch nehmen wollen oder nicht. Das schiene in der Tat demokratischer zu sein. Erst dann könnte die IHK mit Fug und Recht behaupten, für ihre – dann freiwilligen – Mitglieder zu sprechen.
Erhaltenswert
Was auch nett zu lesen ist: Auf der von der Stadt München betriebenen Website www.metropolregion-muenchen.eu kann man über den Landkreis Landshut lesen: „Der Landkreis Landshut ist ein Stück vom Herzen Bayerns – landschaftlich abwechslungsreich und reizvoll, reich an Geschichte und Kultur, prallvoll mit Sehenswürdigkeiten und Naturschätzen: ein Land mit hoher Lebensqualität und vielfältigen Freizeitangeboten."
Und den Landkreis Mühldorf bewirbt man so: „... auch als Ausflugs- und Urlaubsziel begeistert der Landkreis Mühldorf a. Inn. Die unberührte Natur der voralpinen Hügellandschaft sowie ein reiches historisches Erbe machen die Region Inn-Salzach zu einem ganz besonderen Erlebnis in Oberbayern." Über die Landkreise Rosenheim und Ebersberg, ebenfalls tangiert von den mäandernden Autobahnplänen, findet man ähnlichen Lokalstolz auf schöne Landschaft und ihre Traditionen. Ist da etwa doch etwas erhaltenswert?
So geht man in Kumhausen und anderswo halt wieder auf die Straße, plant in den vielen Bürgerinitiativen entlang der diversen Trassenvarianten weitere Aktionen. Auch das hat schließlich schon eine Tradition, die gut 40 Jahre währt. Die Bürger haben, wie man sieht, ihren Glauben an die Demokratie noch nicht aufgegeben. Glücklicherweise.