Landshut (17.01.2017) Gute Nachricht für alle Freunde der literarisch-musikalischen Reihe „Mitten ins Herz“: Auch 2017 geht’s weiter. Geplant sind sieben Veranstaltungen, verteilt übers Jahr. Detaillierte Informationen enthält das in der Stadtbücherei ausliegende Faltblatt. Die erste Matinee am Sonntag, 29. Januar, findet, wie immer, um 11 Uhr, im Lesecafé der Stadtbücherei im Salzstadel, statt und ist der großen, kürzlich verstorbenen österreichischen Dichterin Ilse Aichinger gewidmet, die als eine der bedeutendsten Repräsentantinnen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gilt.
Heinz Oliver Karbus, bekannt als Regisseur, Schauspieler und „Vorleser“, liest Texte und Gedichte aus Ilse Aichingers Werk und Martin Kubetz findet dazu die passenden Töne. Ein spannender und inspirierender Dialog zwischen Poesie und Musik.
Ilse Aichinger und ihre Zwillingsschwester Helga wurden am 1. November 1921 als Töchter eines Lehrers und einer jüdischen Ärztin in Wien geboren. Nach der frühen Scheidung der Eltern verbrachten sie den größten Teil ihrer Kindheit bei der Großmutter beziehungsweise in Internaten.
Im März 1938, nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich, musste die Mutter die Wohnung verlassen und verlor ihre Praxis. Die Schwester Helga schaffte es, noch 1939 mit einem Kindertransport nach England zu gelangen, der Kriegsausbruch verhinderte jedoch die geplante Ausreise der übrigen Familienmitglieder.
Ilse Aichinger und ihre Mutter litten unter Repressalien während der Nazizeit, überstanden aber die Kriegsjahre mehr schlecht als recht, während die Großmutter und die Geschwister der Mutter 1942 deportiert und ermordet wurden.
Nach dem Krieg begann Ilse Aichinger ein Medizinstudium, das sie nach dem fünften Semester abbrach, um ihren teils autobiografischen Roman „Die größere Hoffnung“ zu schreiben, der einen Meilenstein in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur bildete. In den 50ger Jahren war sie Lektorin beim S. Fischer Verlag und arbeitete außerdem an der Hochschule für Gestaltung in Ulm.
1951 trat sie der Gruppe 47 bei, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte. 1953 heiratete sie den Lyriker und Hörspielautor Günther Eich, mit dem sie zwei Kinder bekam, Clemens und Mirjam. Während ihrer 19 gemeinsamen Jahre war Ilse Aichinger sehr produktiv: Sie schrieb vorwiegend Erzählungen, Hörspiele und Lyrik. 1972 starb Günther Eich. Nach dem Tod ihres Mannes veröffentlichte die Autorin 14 Jahre lang nichts mehr. Sie schrieb aber trotzdem – auf Umschlägen, Rätselheften, Einkaufstaschen. Ihre Texte wurden immer kürzer bis hin zum Aphorismus.
1998 ein weiterer Schicksalsschlag: 44-jährig starb ihr Sohn Clemens nach einem Unfall. Danach zog sich Ilse Aichinger ganz aus der literarischen Öffentlichkeit zurück. In Wien besuchte sie fast täglich ihr Stammcafé am Kohlmarkt und sie ging sehr häufig ins Kino. Sie wurde eine geradezu manische Filmeschauerin, manchmal besuchte sie fünf Vorstellungen am Tag, „weil das Kino eine Form des Verschwindens ist“ sagte sie, „man taucht ins Dunkel, man ist unsichtbar“.
2001 erschien wieder ein Buch von ihr, das sogenannte Film-Buch: Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben.
Die österreichische Dichterin wurde im Laufe ihres Lebens mit vielen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Literaturpreis der Gruppe 47 (1952), dem Nelly Sachs Preis (1972), dem Großen Österreichischen Staatspreis (1995) und (2002) dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.
In ihrer Dichtung rief Ilse Aichinger von Anfang an auf zur Kritik an politischen und gesellschaftlichen Zuständen. Sie kämpfte gegen falsche Harmonie und Geschichtsvergessenheit: „Wer ist fremder, ihr oder ich? Der hasst ist fremder als der gehasst wird und die Fremdesten sind, die sich am meisten zu Hause fühlen.“
Ilse Aichinger starb vergangenes Jahr am 11. November im Alter von 95 Jahren.
Karten für 7 Euro sind erhältlich in der Stadtbücherei im Salzstadel oder können unter Telefon 0871/22878 vorbestellt werden.
Im Bild: „Mitten ins Herz“ startet ins neue Jahr: Die Matinee am Sonntag, 29. Januar, mit Regisseur und Schauspieler Heinz Oliver Karbus (rechts) sowie dem Musiker Martin Kubetz (links) ist der kürzlich verstorbenen österreichischen Dichterin Ilse Aichinger gewidmet.